Theater Stralsund
Hansestadt Stralsund
Das Theater in Stralsund wurde 1913/14 durch den Kölner Architekten Carl Moritz errichtet. Als Theaterarchitekt war Moritz 1902 mit dem Neubau des Kölner Opernhauses bekannt geworden; in nur zwölf Jahren, bis 1914 errichtete er insgesamt sieben Theater. Schon 1904 veröffentlichte er eine programmatische Abhandlung, die später unter dem Titel ‚Vom modernen Theaterbau’[1] erschien. Seine in dieser Schrift erhobenen Forderungen zu Innenraum und äußerer Gestalt des Theaters setzte Moritz selbst allerdings erst mit seinem letzten Theater-Neubau in Stralsund tatsächlich konsequent um. Das Stralsunder Theater spielt daher im Werk von Carl Moritz und in der Geschichte des deutschen Theaterbaus eine herausgehobene Rolle.
Wie bei vielen anderen Theatern auch, waren durch verschiedene Umbauten vor allem die Innenräume des Hauses inzwischen erheblich verändert worden. Mit der aus technischen Gründen notwendigen, grundlegenden Sanierung des Theaters bot sich die Chance, auch die bedeutenden Raumschöpfungen von Carl Moritz wieder erlebbar zu machen. Dabei erweist sich die Moritzsche Vorstellung eines festlichen Theaters als überraschend zeitgemäß.
Neben der Wiederherstellung der äußeren Kubatur, die in der Nachfolge von Semper auch für Moritz eine wichtige Rolle spielte, ging es bei der Sanierung des Theaters in Stralsund vor allem um die Wiederentdeckung einer Raumfolge, die in dem lichten, von hellen Grüntönen dominierten Zuschauerraum kulminierte. Demgegenüber waren die Wandelgänge, die Treppen und auch die Kassenhalle in einem erdigen Braunocker-Tönen stark zurückgenommen.
Auch, wenn die bauzeitlichen Fassungen durch spätere Ausbauten vollständig unkenntlich geworden waren, vermittelten restauratorische Untersuchungen der verbliebenen Fragmente und Farbfassungen zusammen mit alten Bilddokumenten eine recht gute, für ein echte Rekonstruktion jedoch bei weitem nicht ausreichende Vorstellung von der ursprünglichen Wirkung der Räume.
Zunächst durch die Reparatur überkommener Fragmente, wo nötig aber auch durch Neuschöpfungen, wie etwa bei den Bespannungen des Zuschauerraumes näherten wir uns dem Moritzschen Raumgedanken soweit wie möglich an. Eine Besonderheit stellen dabei die in Stralsund so genannten seitlichen Schwalbennester auf der ersten Rangebene dar: Moritz löste das Problem der schlechten Sichtverhältnisse von Seitenrängen durch eine Auflösen der seitlichen Ränge in einzelne, in der Höhe abgetreppte Logen. Wir finden diese Anordnung erst sehr viel später und vielleicht nicht zufällig ebenfalls in Köln, bei Wilhelm Riphahn in seinem Neubau für das dortige Opernhaus (1946-57).
Anders, als noch für Wagner ist für Carl Moritz ist der Zuschauerraum nicht alleine dazu bestimmt, dem Geschehen auf der Bühne zu folgen, er ist inszenierter, festlicher Raum für das gemeinschaftliche Bühnenspiel. Auch wenn die aufwendige Ausgestaltung des Raumes aus einer anderen Zeit stammt, so ist doch der Gedanke, der dieser Gestaltung zugrunde liegt, immer noch aktuell. Er beschreibt heute den Unterschied zwischen dem Theater und anderen Aufführungsmedien: nicht als einzelner Zuschauer sondern als eine Gemeinschaft hat das Publikum an der Aufführung auf der Bühne teil, und als Gemeinschaft soll sich das Publikum im Theater erleben können. Für diese Gemeinschaft wurde das Theater gebaut.
[1] Carl Moritz, Vom modernen Theaterbau, Flugblätter für künstlerische Kultur, Stuttgart 1906
Bauherr: Hansestadt Stralsund
Beauftragung nach VOF-Auswahlverfahren
Sanierung und Umbau des Theaters mit ca. 450 Zuschauerplätzen
Mitarbeit: L. Pahlisch, S. Göke, J.M. Jehan, T. Richter, D. Bauer, F. Vaupel, I. Russ, J. Primo, A. Webert
Freianlagen: Weidinger Landschaftsarchitekten. Berlin
Tragwerk: Ingenieurbüro O. Sadewater, Stralsund
Bühnentechnik: Bühnentechnik W. Kottke, Bayreuth
Lichplanung: Ingenieurbüro Bamberger, Pfünz b. Eichstätt
Fotos: Bernd Hiepe, Berlin; Stadtarchiv Stralsund, Springer Architekten