Museum Luther-Geburtshaus

Lutherstadt Eisleben

Der Wandel, dem durch die Zeiten die Bedeutung eines Ortes für die Stadt unterliegt, findet seinen Ausdruck immer auch in der gebauten Wirklichkeit. Das Geburtshaus Martin Luthers in der kleinen Stadt Eisleben ist ein wunderbares Beispiel für diesen Prozeß einer immer wieder neuen, gestaltenden Interpretation eines Ortes.

Die Geschichte der Gestaltung von Luthers Geburtsort setzt spätestens mit dem Wiederaufbau des Geburtshauses nach einem großen Stadtbrand ein. Schon damals wurde nicht versucht, das zerstörte mittelalterliche Haus wieder herzustellen. Statt dessen bringt der 1693 entstandene, barocke Nachfolgebau die Verehrung für den Reformator auch baulich zum Ausdruck. Das Haus gilt als eines der ersten bürgerlichen Museen überhaupt.

Zwei gegensätzliche Haltungen, die idealisierende Ausgestaltung des Ortes als Denkmal einerseits und auf der anderen Seite der Versuch, Luthers Geburtsstätte in ihrer ‚originalen’ mittelalterlichen Erscheinung erlebbar zu machen, wechselten einander in verschiedenen Umbauten und Erweiterungen des 18.-20. Jahrhunderts ab. Während Karl-Friedrich Schinkel noch 1817 forderte, ‚das Äußere solle an die Zeit Luthers erinnern’, strebte schon sein Nachfolger Friedrich August Stüler 1864 wieder nach einer ‚würdigen Ausgestaltung’.

Die durch Stüler veranlaßte Freistellung des Geburtshauses und dessen Einfassung mit einer Pergola prägen heute das Bild des seit 1996 als UNESCO-Welterbe geschützten Ensembles. Mit der Errichtung der neuen Ausstellungsbauten stellte sich auch für uns die Frage nach der Angemessenheit des architektonischen Ausdrucks an diesem Ort wieder neu. Weder die monumentalisierende Überhöhung noch der Versuch einer Rekonstruktion mittelalterlicher Stadtbilder erscheinen noch tragfähig.

Für die Besucher, die oft von weither an Luthers Geburtsstätte ‚pilgern’, soll die Aura des Ortes erfahrbar bleiben, ohne damit zugleich die Glaubwürdigkeit des Bauens unserer Zeit preiszugeben. Die zwei Neubauten schreiben die stadträumliche Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte durchaus selbstbewußt fort. Maßstab, Material und Konstruktion machen die Anwesenheit der Ergänzungen dennoch zu etwas Selbstverständlichem.

Der graubunte Ziegel der Neubauten erinnert an Nebengebäude, wie sie in ähnlicher Form noch heute auf Nachbargrundstücken zu finden sind. Seine rötliche Schattierung stellt eine Verbindung zu den alten Sandsteinmauern her. Das Ziegelmaterial unterscheidet die Neubauten von den ‚edler’ erscheinenden, verputzten Bestandsbauten. Dieser Unterschied stützt einerseits die Bedeutungshierarchie zwischen den einzelnen Häusern, er ist andererseits jedoch nicht so stark, daß die Neubauten als Fremdkörper erscheinen würden.

Dem äußeren Erscheinungsbild entspricht eine denkbar einfache technische Ausstattung. Der spezielle Aufbau des massiven, im Verbund mit einem Kern aus Hochlochziegeln durchgemauerten Ziegelmauerwerks ermöglicht den Verzicht auf eine Klimatisierung der Ausstellungsräume. Seitliche Lüftungselemente in den Fenstern gewährleisten im Sommer das nächtliche Nachströmen kühler Außenluft.

Die vergleichsweise rauhe Anmutung der Neubauten bestimmt auch die Innenräume des Museums. Alle konstruktiven Materialien sind weitgehend sichtbar belassen: Mauerwerk und Betondecken sind auf der Innenseite in verschiedenen Grautönen geschlämmt, das Holz des Fußbodens und der sichtbaren Sparren ist weißgrau gekälkt.

Unsere Arbeit zielte darauf, durch eine selbstverständliche Einfügung der Neubauten die besondere Aura des Ortes zu bewahren. Gerade aus ihrem engen Bezug zu dem atmosphärisch dichten Bestand wächst den ergänzenden Bauteilen ein sehr eigenständiger Charakter zu. Das ‚leise’ Auftreten der neuen Häuser wahrt den Zusammenhalt des Ensembles, ohne daß die geschichtlichen Zugehörigkeiten verunklärt würden.

 

Bauherr: Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt
Konkurrierendes Gutachterverfahren, 1. Rang, realisiert
Denkmalgerechte Sanierung von Geburtshaus und Armenschule, Neubauten für das Museum und für ein Besucherzentrum
Mitarbeit: T. Richter, P. Biolley, C. Eberhard, W. Foitzik, C. Noack, Schumann, B. Terhechte, J. Wiese
Freianlagen: Springer Architekten mit G. v. Gayl, Berlin
Tragwerk: Ingenieurbüro R. Jockwer GmbH
Restaurator: Jens Linke pons asini, Mellingen
Ausstellung: Ilg Friebe Nauber, Leipzig
Licht: Anke Augsburg Licht, Leipzig
Fotos: Bernd Hiepe, Berlin

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